Montag, 16. Mai 2016

Planung für die Blücherstr. 26 - die Axt im Walde

Die "verbesserte Planung" für die Blücherstr. 24, auf die die Anwohner schon lange warten, wurde bisher immer noch nicht präsentiert. Sie lag auch nicht dem Jugendhilfeausschuss vor, der vorletzte Woche tagte und wird auch den Ausschüssen der BVV, die diese Woche tagen, wahrscheinlich nicht vorliegen.
Vielmehr erklärte ein Vertreter der Investoren im Jugendhilfeausschuss, dass er sich nicht daran hindern lassen werde, auf dem Grundstück zu bauen. Als wenn das irgendjemand wollte.
Es ist aber wohl selbstverständlich, dass sich die Investoren und der Bezirk dabei an die geltenden Regeln des Baurechts halten müssen.
Dabei spielt auch der denkmalswerte Baubestand eine Rolle. Hier kann die Öffentlichkeit auch Rücksichtnahme erwarten. Das verlangt man auch von anderen Eigentümern, die ein aus denkmalschützerischer Sicht erhaltenswertes Gebäude kaufen und oft erhebliche Auflagen für die Umgestaltung der Gebäude bekommen.

Zum städtebaulichen Wert der Anlage hat sich jetzt die Ernst-May-Gesellschaft zu Wort gemeldet.
Diese Gesellschaft hat sich zum Ziel gesetzt, die Ideen und Dimensionen des Werks des Architekten Ernst May, der auch die Blücherstr. 26 entworfen und gebaut hat, erfahrbar zu machen und dazu beizutragen, dass seine Arbeit entsprechend gewürdigt wird.

Wir möchten hier den Artikel aus dem Maybrief 43 vom April dieses Jahres dokumentieren:


Mays bedrohtes Nachkriegserbe
in Berlin
Von Dr. Florian Seidel
In Berlin droht mit dem Heinrich-Plett-Haus ein Stück der Nachkriegsarchitektur
Ernst Mays zu verschwinden.



Während die Arbeiten Ernst Mays aus der Zeit des Neuen Frankfurt – auch dank der beharrlichen Arbeit der ernstmay-gesellschaft – inzwischen geschätzt und respektiert werden, sind seine Werke aus früheren und späteren Phasen meist weit weniger im öffentlichen Bewusstsein verankert und somit auch größeren Gefahren ausgesetzt. Immer wieder fallen Bauten Ernst Mays der Abrissbirne zum Opfer oder gehen aus Sanierungsmaßnahmen stark entstellt hervor. In den letzten Jahren betraf es beispielsweise die schöne Wohnsiedlung Grünhofe in Bremerhaven, wo mehrere Wohnzeilen Ernst Mays aus den 1950er Jahren im
Zuge der Modernisierung der Siedlung abgerissen wurden.

Derzeit ist das Altenwohnheim „Heinrich-Plett-Haus“ in Berlin-Kreuzberg, ein Alterswerk Ernst Mays aus dem
Jahr 1967, in akuter Gefahr. In der von dichter gründerzeitlicher Bebauung geprägten Umgebung unterbrechen das Altenwohnheim und ein benachbartes, zeitgleich von May entworfenes Pflegeheim die Fassadenflucht der Blücherstraße. Gemeinsam bilden sie ein lebhaft bewegtes Ensemble, stark gegliedert und von der nördlich verlaufenden Straße abgewandt. Die Wohnseiten beider Bauten richten sich stattdessen, den funktionalistischen Ideen Mays folgend, mit ihren gestaffelten Balkonen nach Süden und Westen aus. Das Wohnheim besteht aus drei Gebäudeteilen, die bis zu elf Geschosse aufragen und die durch eine starke horizontale Fassadengestaltung zu einer Einheit verbunden werden.
Gemeinsam mit den umgebenden Grünflächen – einst von Walter Rossow gestaltet - bilden die Gebäude eine organische Einheit. In Berlin fühlt man sich als Betrachter eines derartigen Ensembles schnell an die organische Architektur Hans Scharouns erinnert, die in der zur gleichen Zeit entstandenen Philharmonie und der Staatsbibliothek am Berliner Kulturforum ihren einprägsamsten Ausdruck fand.

Anders als diese Ikonen der modernen Architektur wurden die Bauten an der Blücherstraße jedoch in den letzten Jahren eher achtlos verwaltet. Allmählich verfielen sie, Instandhaltungen erfolgten ohne Sinn für die Bausubstanz und die architektonische Qualität. Im Frühjahr 2009 entschloss sich das Land Berlin, eines der Gebäude, nämlich das Wohnheim, über den landeseigenen Liegenschaftsfonds zu verkaufen und auf diese Weise einen geringen Gewinn zu erwirtschaften. Der Erwerber plant nun, das Altenwohnheim durch einige Bauten zu ergänzen, die Grünflächen zu überbauen, und somit die Wirkung des Ensembles dauerhaft zu beschädigen. Gegen dieses Vorhaben hat sich in den letzten Monaten aus der unmittelbaren Nachbarschaft heraus eine Bürgerinitiave gebildet, die unermüdlich für den Erhalt der Grünanlage mit ihrem schönen alten Baumbestand kämpft. Die Forderung der Initiative nach dem Erhalt der Bauten Mays ist sozusagen ein Nebenprodukt des Bemühens um die Bewahrung der Grünflächen.
Heute ist weitgehend unbekannt, wie es zum Bau dieses Ensembles kam, welche Rolle das Land Berlin dabei spielte oder warum eines der Häuser heute noch den Namen „Heinrich-Plett-Haus“ trägt. Dabei birgt dieser Name den Schlüssel zum Verständnis der Bedeutung der Bauten.
Heinrich Plett war in den 1950er Jahren Vorstand des gewerkschaftseigenen Wohnungskonzerns Neue Heimat, der in der Zeit des Wirtschaftswunders einen spektakulären Aufstieg nahm. In Rekordzeit wurde die Neue Heimat zum größten Wohnungsunternehmen Europas, sie errichtete beinahe überall in der Bundesrepublik kleinere und in zunehmendem Maße auch große Wohnbauprojekte und prägte entscheidend den Wiederaufbau vieler zerstörter deutscher Städte. Die von Ernst May unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Afrika in die Hand genommene Planung für Neu-Altona und Neubausiedlungen wie die Neue Vahr in Bremen mit 10.000 Wohneinheiten, geplant und erbaut innerhalb von vier Jahren, waren eindrucksvolle Markenzeichen dieses Wohnungskonzerns, der einen Teil seines Erfolges dem Finanzgeschick seines Vorstandes Plett verdankte.
Im Jahr 1954 hatte Plett Ernst May, dessen Name untrennbar mit dem Neuen Frankfurt, jenem kühnen Wohnungsbauprogramm der 20er Jahre verbunden war, zurück nach Deutschland geholt. Mit Ernst May holte sich Plett eine Ikone des modernen Wohnungsbaus an die Spitze seiner Planungsabteilung. Auch wenn May nur gerade einmal zwei Jahre im Konzern verblieb, ist ein Großteil seines Nachkriegswerks mit der Neuen Heimat verbunden, da er im Anschluss immer wieder Großaufträge, manchmal für die Planung ganzer Wohnsiedlungen, erhalten sollte.
Im Jahr 1963 verstarb Heinrich Plett jedoch überraschend.
Als die Neue Heimat im gleichen Jahr bereits 200.000 Wohnungen errichtet hatte, beschloss die neue Konzernführung, ein öffentlichkeitswirksames Signal zu setzen. Die Schlüsselübergabe der 200.000. Wohnung in der Siedlung Falkenhagener Feld in Berlin-Spandau wurde zu einem Medienereignis, und man kam überein, dem Land Berlin aus diesem Anlass ein Wohnheim zu schenken. Dies wurde als Maßnahme gegen den Mangel an altengerechten Kleinwohnungen in der kurz zuvor geteilten Stadt präsentiert. Als Architekt wurde - natürlich - der selbst bereits 77 Jahre alte Ernst May ausgewählt. Er entwarf ein besonderes Ensemble, das sich sowohl in der Art seiner Wohnungen als auch in seiner kompromisslos modernen städtebaulichen Haltung stark von seiner Umgebung abhob. Der Einfluss seines Freundes Hans Scharoun und seines Mitarbeiters Jürgen Baumbach, der wiederum ein Schüler Scharouns gewesen war, ist unverkennbar.


Die Tatsache, dass Bundespräsident Heinrich Lübke zum Baustellenbesuch anreiste und der noch heute am Gebäude angebrachte Name „Heinrich-Plett-Haus“ sind Indizien für die Bedeutung, die die Politik und die Neue Heimat selbst dem Wohnheim beimaßen. Eine Bronzeskulptur des Bildhauers Seff Weidl, der zuvor etwa Werke für die Hauptverwaltung der Neuen Heimat in Hamburg und die Gartenstadt Vahr in Bremen geschaffen hatte, ziert bis heute den Eingang des Gebäudes.

Über den architektonischen Wert des 1967 fertig gestellten Ensembles kann man, zumal nach den Sanierungsversuchen und Umbauten der letzten Jahrzehnte, zunächst geteilter Meinung sein. Dennoch wird bei genauerem Hinsehen, gerade auch auf Fotos aus der Entstehungszeit, die Qualität dieser Bauten offenbar, die bei aller zeittypischen Bescheidenheit einen Optimismus und eine Zuversicht erahnen lassen, die unserer Zeit oft fehlt. Nun ist dieses Zeitdokument des Wiederaufbaus stark gefährdet. Es wäre schade, wenn das Land Berlin und der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg es versäumen, dieses Geschenk, ein Alterswerk eines der bedeutendsten deutschen Architekten des 20. Jahrhunderts, angemessen zu schützen. Die ernst-may-gesellschaft verfolgt die weitere Entwicklung aufmerksam.


Links:
Ernst-May-Gesellschaft 
Download Maybrief 43 

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